Lukas war 14 Jahre alt und spielte gerne Basketball. Jeden Nachmittag traf er sich mit seinen Freunden auf dem Platz und trainierte stundenlang. Das prallen der Bälle, der gegen den Korb sprang, und das Gefühl, wenn er den Ball im Spiel geschickt an den Gegner vorbeibrachte, waren für ihn wie Musik. Es war seine Leidenschaft, sein Ausgleich. Doch eines Tages sollte alles anders kommen. Während eines Spiels, als er sich gerade einen schnellen Korb erkämpfen wollte, stürzte er unglücklich. Ein lauter Knall hallte durch die Halle, und alles um ihn herum wurde plötzlich still. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Körper. Als er die Augen öffnete, fand er sich im Krankenhaus wieder.
Der Arzt bestätigte, was Lukas tief im Inneren schon befürchtet hatte. „Es tut mir leid, Lukas. Du hast dir das Rückenmark verletzt. Du wirst nie wieder laufen können.“
Diese Worte trafen ihn wie ein Schlag. Alles, was er sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte – das Basketballspielen, das Team, die Freude am Sport – schien plötzlich in weite Ferne gerückt. Für einen Moment wusste Lukas nicht, wie er weiterleben sollte. Alles fühlte sich leer an. Die nächsten Wochen waren ein Albtraum. Der Schmerz, die Reha, die ständigen Arztbesuche. Aber das war nicht das Schlimmste. Am schlimmsten war der Blick der anderen.
Zurück in der Schule hatte sich alles verändert. Während Lukas früher der Basketballstar gewesen war, der mit seinen Freunden auf dem Schulhof spielte, war er nun „der Junge im Rollstuhl“. Manche seiner ehemaligen Freunde mieden ihn plötzlich. Andere tuschelten hinter seinem Rücken oder machten gemeine Witze. Die härtesten Momente waren die, in denen er von seinen Mitschülern gemobbt wurde. „Du bist jetzt nur noch ein Belastung für deine Mutter“, flüsterte ihm ein Mitschüler ins Ohr. „Wofür willst du überhaupt noch leben, wenn du nicht mehr laufen kannst?“
Lukas fühlte sich immer mehr entfremdet. Die Jungs, mit denen er einst das Basketballfeld geteilt hatte, wendeten sich ab. Seine Tage waren leer und trist, und das einzige, was ihm blieb, war die Erinnerung an die Zeit, in der er rennen konnte, in der er der König des Basketballplatzes war.
Seine Mutter, die immer an seiner Seite war, bemerkte seine traurige Verfassung. Eines Abends setzte sie sich zu ihm ans Bett und nahm seine Hand. Ihr Blick war weich, aber voller Sorge. „Lukas, ich weiß, dass es dir schwerfällt. Ich sehe, wie du dich veränderst. Du bist nicht mehr der Junge, der voller Energie und Begeisterung war. Aber du darfst nie vergessen, wer du wirklich bist. Du hast noch so viel in dir. Du bist nicht der Rollstuhl. Du bist Lukas. Du bist stark.“
Lukas blickte in ihre Augen, und in diesem Moment spürte er, wie die Tränen in ihm aufstiegen. „Aber ich kann nicht mehr spielen, Mama. Was bleibt mir noch, wenn ich nicht mehr laufen kann? Was soll ich tun?“
„Lukas“, antwortete seine Mutter mit fester Stimme, „vielleicht kannst du nicht mehr genauso spielen wie früher. Aber das bedeutet nicht, dass du nicht mehr spielen kannst. Es gibt viele Arten, wie du deinen Traum weiterleben kannst. Du musst nur den Mut haben, den ersten Schritt zu tun.“
Diese Worte hielten ihn noch lange wach in der Nacht. Was, wenn sie recht hatte? Was, wenn es noch einen anderen Weg für ihn gab? Aber was? Ein Teil von ihm war sich sicher, dass das Leben ohne Basketball für ihn einfach nicht vorstellbar war. Doch am nächsten Tag, als er durch das Internet surfte, stieß er zufällig auf ein Video von Rollstuhlbasketball. Die Spieler waren schnell, agil und präzise. Sie bewegten sich mit einer Leichtigkeit über das Spielfeld, die Lukas sofort faszinierte. „Das könnte vielleicht mein Weg sein“, dachte er.
Trotz seiner anfänglichen Skepsis beschloss Lukas, es zu versuchen. Zusammen mit seiner Mutter suchte er nach einem Rollstuhlbasketball-Team in der Nähe. Der erste Schritt fiel ihm schwer. Wie würde er sich in einem Team fühlen? Würde er überhaupt akzeptiert werden? Und würde er in diesem neuen Spiel auch etwas taugen?
Beim ersten Training war Lukas noch unsicher. Der Rollstuhl fühlte sich ungewohnt an, und die Bewegungen auf dem Court waren völlig anders als das, was er kannte. Doch die anderen Spieler, allesamt mit unterschiedlichsten Geschichten, empfingen ihn mit offenen Armen. Der Trainer, ein ehemaliger Profispieler, zeigte ihm, wie man den Rollstuhl effektiv steuert, wie man schnelle Wendungen und Drehungen macht und wie man sich die beste Position für einen Wurf erarbeitet. „Du musst dich auf deinen Körper und den Rollstuhl verlassen“, sagte der Trainer. „Und du musst immer an dich selbst glauben.“ Langsam wuchs Lukas’ Selbstvertrauen. Mit der Zeit wurden die Bewegungen natürlicher, die Techniken geschickter. Es war ein anderes Spiel als das, was er früher gekannt hatte, aber es hatte seinen eigenen Reiz. Er lernte, dass der Basketballsport nicht nur aus schnellen Beinen und Sprüngen bestand, sondern aus Strategie, Zusammenarbeit und Technik. Lukas’ erstes offizielles Spiel war ein emotionaler Moment für ihn. Er war nervös, doch als der Ball ihm zugespielt wurde und er ihn sicher im Korb versenkte, ergriff ihn ein Gefühl von Erfüllung, das er lange nicht mehr gespürt hatte. Der Jubel seiner Mutter von der Tribüne erfüllte ihn mit Stolz. Sie hatte an ihn geglaubt, als er selbst fast aufgegeben hätte. In den folgenden Monaten fand Lukas neue Freunde im Team und konnte seine Fähigkeiten weiterentwickeln. Das Spiel, das einst seine größte Freude war, hatte er in einer neuen Form wiedergefunden. Er lernte, dass es nicht darum ging, wie man spielt, sondern dass man spielt, was einem am Herzen liegt. Und das Wichtigste von allem: Lukas hatte wieder zu sich selbst gefunden. Er war immer noch der Junge, der für den Basketball brannte, aber jetzt konnte er auch anderen zeigen, dass es nie zu spät ist, sich neu zu erfinden. Eines Tages, als er in einem großen Turnier gegen ein anderes Team spielte, sah er sich selbst als Teil eines Teams, das auf und neben dem Spielfeld zu einer Familie zusammenwuchs. Er war nicht der „Junge im Rollstuhl“, sondern ein stolzes Teammitglied, das genauso viel wert war wie alle anderen. Am Ende des Turniers, als er einen entscheidenden Korb erzielte, blickte er in die jubelnden Gesichter seiner Mitspieler und wusste: Der wahre Sieg war nicht der Pokal, sondern die Entschlossenheit, niemals aufzugeben – egal, was das Leben einem in den Weg stellt. Lukas hatte nicht nur den Basketball zurückerobert. Er hatte sich selbst zurückerobert. Und das war mehr wert als alles andere.